Aber sicher

Ich bin in letzter Zeit ein bisschen geflogen, unter anderem wieder nach den USA (nach 8 Jahren) und auch ins EU-Ausland. Dabei sind mir die zum Teil geradezu lächerlichen Sicherheitsmassnahmen an den Flughäfen aufgefallen.

Zunächst mal: Das Risiko in einem Flugzeug durch einen Terroranschlag zu sterben ist nach wie vor extrem gering.
Mal paar Zahlen gefällig?
Seit 1969 sind weltweit ca. 2000 Menschen durch Sprengstoffexplosionen in Passagierflugzeugen gestorben, Krieg nicht mitgerechnet.
Das ist - mit Verlaub - nicht viel.
Ich will die Zahl nicht verharmlosen, beileibe nicht, aber es hilft eventuell mal die richtige Relation:
Im Strassenverkehr sterben durch Unfälle nur in Deutschland jedes Jahr mehr als doppelt so viele Menschen.
Jedes einzelne Jahr.
Nur in Deutschland.

Na gut, höre ich Leute sagen, aber New York 11.09. Terroranschlag World Trade Center … das ist doch mal ein ganz anderes Kaliber.

Ist es?

Okay, die Anschläge auf das World Trade Center hat ca. 3000 Leute das Leben gekostet. Also in etwa so viele Leute wie TÄGLICH (!) an Diabetes sterben.
Ja, der nutzlose Tod durch Terroranschläge ist schrecklich. Aber rein statistisch handelt es sich um eine eher vernachlässigbares Risiko.
Selbst wenn man die persönliche Perspektive mit einbezieht, ist die Situation nicht anders: Die Familien der Opfer trauern zu recht. Ihnen ist mit meiner Aussage nicht geholfen. Aber auch nicht den Familien, die Angehörige auf andere "ungerechte" Weise verloren haben mit dem Hinweis, es sei ja wenigstens kein Terroranschlag gewesen, sondern nur Unfall, tödliche Krankheit, oder gar Krieg. Im Krieg im Irak allein sind mindestens 2000 US Amerikaner gestorben. Wenn die USA so weiter machen, gibt es bald mehr Familien die um Tote trauern, die durch den "Kampf gegen den Terrorismus" gestorben sind als solche, die um Tote DURCH den Terrorismus selbst trauern müssen. Von den ca. 30.000 Toten unter der irakischen Zivilbevölkerung ganz zu schweigen. Aber darum soll's hier gar nicht gehen. Sondern nur um den Fakt, dass jeder jemanden persönlich kennt, der zu früh an Krebs oder Aids oder einem Autounfall oder IRGENDWAS "unnatürlichem" gestorben ist, obwohl er noch nicht "dran" war.
Jeder, oder?
Aber wie viele kennen jemanden, der durch einen Terroranschlag umgekommen ist. Persönlich? Sehr sehr … sehr … wirklich sehr sehr wenige. Und wenn's um Flugzeuge alleine geht, sind's noch mal viel viel weniger.

Trotzdem wurde zwischen 2001 und 2005 ca. 15 Milliarden US$ für Flughafenkontrollen ausgegeben... allein in den USA. Weltweit werden derzeit mal eben 5,6 Milliarden US$ pro Jahr verblasen, um ein sowieso schon sehr kleines Risiko zu minimieren.

Ich habe damit zwei Probleme:

1. Das selbe Geld könnte an anderer Stelle wesentlich mehr bewegen, wenn es um eine ganz brutale "Geld gegen Menschenleben" Rechnung ginge. Die selbe Summe z.B. in Medikamente oder nur sauberes Wasser in Afrika investiert... unglaublich was da bei raus käme. Nun gut, das sind eben Leute in Afrika. Nicht in den USA oder in Westeuropa. So traurig das ist, aber ob jemand in Afrika stirbt ist uns letztlich egal, stimmt's? Aber so weit müssen wir ja gar nicht gehen, um diese Diskussion gar nicht erst anzufangen. Die selbe Summe in die Diabetesforschung gesteckt oder in die Krebsforschung... auch da könnten wesentlich bessere Hebel erzielt werden, als zu verhindern, dass pro Jahr eventuell ein Flugzeug mit 300 Personen gesprengt wird. Wir reden von 5,6 Milliarden US$ pro Jahr. Glauben wir nicht, dass die Krebsforschung damit recht weit käme? Weiter als 300 Personen?

Wenn es so sinnlos und grausam ist, daß z.b. die Lockerbie Opfer sterben mussten (und nicht, dass wir uns missverstehen: Das war sinnlos und grausam), ist es dann nicht noch viel sinnloser und grausamer, all die Leute an Krebs sterben zu lassen, nur weil man anstatt zu forschen das notwendige Geld zur "Rettung" von 300 Fluggästen ausgibt, die vielleicht gestorben wären, wenn man es nicht getan hätte? Im Gegensatz zu den Krebspatienten können die Fluggäste ihr Problem ja einfachst selbst lösen, indem sie nicht fliegen. Das tun sie aber nicht, weil sie zu Recht den Terrorismus nicht als sehr wahrscheinliche Gefahr für ihr Leben aufassen.

2. Das Geld hilft nicht mal. Ich will aus meinem eigenen Erfahrungsbereich einige Beispiele bringen. Nun gut, ich muss also immer meine Schuhe ausziehen und meinen Gürtel aufmachen oder gar rausnehmen. Warum eigentlich? Weil ich im Gürtel WAS GENAU versteckt habe? Ein Faltschwert? Manche der "Sicherheitsmaßnahmen" erschliessen sich mir nicht. Neulich hatte ich nur Handgepäck dabei und da war natürlich - Mist, vergessen - eine Deo und Rasierwasser dabei. Ob ich das wegwerfen wolle. Nein, wollte ich nicht. Okay, dann müsse ich an einem Automaten für 50 Cent Plastiktüten ziehen. Hab ich gemacht. Komme mit den Tüten zurück und überlege nun die ganze Zeit, was die Sicherheitsleute mit meinem Flüssigkeiten und den Plastiktüten wohl machen werden. Zu meiner äussersten Verblüffung musste ich das Deospray in die ein Tüte packen und das Rasierwasser in die andere.
"Und nun?" fragte ich nachdem ich das gemacht hatte.
"Jetzt können Sie das wieder einpacken" war die Antwort.
"Wie..." entfuhr es mir ungläubig "Das ist alles? Jetzt ist das sicher, weil das in kleinen Plastiktüten ist?"
"Ja" war die Antwort. Das Sicherheitspersonal hatte dabei ganz deutlich den "Wir haben uns die Kacke nicht ausgedacht" Gesichtsausdruck.
Ich habe also die beiden Sachen, im Gegensatz zu vorher in Plastiktüten gesichert wieder in meinen Handkoffer getan... fertig.

Ich überlege nun: Mal angenommen, im Deo des Terroristen sei nun Nitro und im Rasierwasser Glitzerin... wie genau hindert ihn die Plastiktüte nun, das Zeug im Flugzeug zu vermischen? (jaja, ich weiss, daß das so nicht geht... ist nur mal eine prinzipielle Frage.)

Das sind also die Sicherheitsmassnahmen die man für 5,6 Milliarden pro Jahr bekommt?

Zu Rechtfertigung führt die amerikanische Transportation Security Administration (TSA) aus, dass durch die Sicherheitsmaßnahmen 13 Millionen verbotene Gegenstände entdeckt worden seien. Klingt gut. Bis man bemerkt, dass von "verbotenen" und nicht etwa von "gefährlichen" Gegenständen die Rede ist. Also, was sind eigentlich diese verbotenen Gegenstände?
Im vorliegenden Fall überwiegend …
Feuerzeuge.

Es wurden also 5,6 Milliarden US$ ausgegeben um den Flugpassagieren ihre Feuerzeuge wegzunehmen?
Na, das hat sich aber gelohnt.
Ich denke es kann - unabhängig davon, was man mit einem Feuerzeug genau tun muss, um ein Flugzeug zum Absturz zu bringen (drohen, die Haar des Kapitäns anzuzünden eventuell und der fliegt dann lieber das Dingen in den Boden?) - als gegeben angenommen werden, dass die Feuerzeuge einsammeln exakt NULL Sicherheitsgewinn gebracht hat; einfach weil es äusserst wahrscheinlich ist, dass die Feuerzeugträger ALLE mit ihrem Feuerzeug das Flugzeug auch wieder verlassen hätten, ohne damit was zu anderes zu machen als schlimmstenfalls verbotenerweise ein Zigarette anzünden. Früher, als Rauchen in Flugzeugen noch erlaubt war, durfte ich selber beobachten, dass rauchen nicht zu Flugzeugabstürzen geführt hat. Obwohl: ich als Nichtraucher habe mich oft genug durchaus terrorisiert gefühlt durch die Raucher... na gut, das ist ein anderes Thema.

Also: Eingesammelt werden Feuerzeuge und Nagelscheren. Himmel. NAGELSCHEREN. Ja, klar, wenn man determiniert ist, kann man mit Nagelscheren jemand umbringen. Aber der trainierte Terrorist braucht dazu doch keine Nagelschere. Oder schneidet er damit heimlich wichtige Leitungen im Flugzeug durch?
Anderes Beispiel: Erst vor kurzem ist mir aufgefallen, das ich JEDEN einzelnen Flug dieses Jahr versehentlich schwer bewaffnet unterwegs war: Einerseits habe ich immer so ein Kreditkartentool dabei, also eine 3 Millimeter dicke Stahlplatte in Kreditkartenformat, die neben Flaschenöffner, und diversen Aussparungen als Notschraubenschlüssel unter anderem auch zwei recht scharfe Messerkanten hat, eine sogar in Form einer kleinen Säge. Andererseits führe ich immer eine Phasenprüfer in meiner Jacke mit. Also letztlich einen Schraubenzieher! Im Vergleich zur Eignung eines Schraubenziehers als Dolchersatz ist eine Nagelschere doch Kinderkram. Hat mir keiner abgenommen. Ist alles jedes mal durch den Scanner gelaufen, NICHTS. Schraubenzieher sind übrigens "verbotene" Gegenstände. Bin ich immer mit ins Flugzeug geklettert. War keine Absicht, ich habe den Kram eben einfach vergessen, ich habe das Zeug immer dabei, wie auch einen Kuli und einen Füllhalter.

Wenn man mir das nun abgenommen hätte, wäre die Sicherheit im Flugzeug dann gestiegen? Nein, keinen Deut natürlich, denn ich bin nun mal kein Terrorist und von mit geht als Bedrohung höchstens aus, dass ich nicht mehr ganz höflich bin, wenn mir der Nachbar im Flugzeug auf die Hose kotzt (ist mir mal passiert).

Die Aussage, man habe xy Millionen verbotene Gegenstände eingesammelt ist also alleine sinnlos. Wichtig ist doch nur, von wie vielen eine tatsächliche Gefahr ausging. Wie viele dieser "Gegenstände" hat man also Terroristen abgenommen? Das wäre mal eine Aussage. Die ist natürlich letztlich nicht zu treffen. Ich wage aber mal die Vermutung, das es nicht sehr viele waren. Sagen wir mal: Drei.

Und die drei wollten mit der Nagelschere am Hals eine Stewardess den Kapitän erpressen, irgendwo gegen zu fliegen oder wie?

"Isch schlitz die auf, isch schwöre"

Als man ihnen die Nagelschere abgenommen hat, haben sie sich im Flugzeug vor lauter Frust einen angetrunken und daher nicht bemerkt, dass die Messer, die man zum Flugzeugessen bekommt, dafür sowieso viel besser geeignet wären? Muss ich mir das so vorstellen?

Für so was werden also Milliarden ausgegeben, während der "echte" Terrorist sich in der Ukraine oder dem Lütticher Flohmarkt ne Panzerfaust aus Restbeständen des zweiten Weltkriegs besorgt, sich damit in Tegel in der Nähe der Landebahn postiert und einen Jumbojet abschiesst, der voll mit Leute ohne Feuerzeug und Nagelscheren ist. Oder er macht's so wie die beiden rumänischen Journalisten, die kürzlich im Rahmen einer Recherche zum Thema Sicherheit ungehindert als Arbeiter verkleidet durch den Lieferanteneingang auf einen Flughafen gefahren sind und mit Klebeband Handgranatenattrappen an Flugzeugen befestigen konnten.

Das ist genau der selbe Scheiss, wie wir gerade für ebenfalls heftiges Geld die Vorratsdatenspeicherung einführen, die E-Mailverkehr und Verbindungsdaten von Funktelefonen und Festnetzanschlüssen für 6 Monate speichert, wärend der Terrorist zu einem Münzfernsprecher geht oder mal eben ein Handy klaut.
Und wenn das auch nicht hilft, liest er eben irgendeinen Agentroman und lernt da, wie man trotzdem anonym kommuniziert.
Mal ganz abgesehen von den bürgerrechtlichen Bedenken stehen hier auch Kosten und Nutzen in keinem Verhältniss: Nach einem vom deutschen Justiziministerium beauftragten Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, gehen derzeit nur circa zwei Prozent der behördlichen Abfragen von Verbindungsdaten deswegen ins Leere, weil die Daten schon gelöscht wurden. (Da das Gutachten nicht ganz das gewünschte Ergebnis hatte, wurde das Papier erstmal weggelegt.)
Für diese 2 Prozent werden nun mindestens zig Millionen ausgegeben? Wohl kaum. Aber wofür dann?

Das ist das wahre Problem mit Terrorismus: Nicht, daß Menschen sterben, sondern daß irgendwelche Leute sich irgendwelchen Quark ausdenken. Ahnung haben sie keine, aber Ideen viele.
"Wir könnte ja mal... äh... von allen Bundesbürgern die Fingerabdrücke nehmen und die auf dem Pass speichern, das wird bestimmt irgendwie helfen gegen den Terror. Seit dem wir das bei den Kriminellen machen, gibts ja auch keine Verbrechen mehr. Die Spanier haben das ja auch und da gibts ja auch keine Terroransch....äh... blödes Beispiel, egal wir machen´s trotzdem. Und wir stellen überall Kameras auf, das machen die Engländer auch und die haben ja auch keine Ansch...äh... blödes Beispiel... aber wir machens trotzdem.
Und Rasierwasser, das stecken wir in Plastktüten, dann kann's nicht mehr explodieren."
Wenn das Max-Planck-Institut oder sonst jemand ihnen sagt, das die Idee blöd ist oder eher wenig hilft, wird mal rasch weggehört und ungehindert von störender Sachkenntnis irgendwelcher Aktivismus gezeigt, der im besten Falle sehr teuer, sehr nutzlos und lächerlich ist, zunehmend aber sehr teuer, sehr nutzlos und dafür freiheitsbeschneidend. Die Folgen DAVON wiegen schwerer als die direkten Folgen des Terrorismus.
Zugegeben, die Erkenntnis ist nicht neu. Noch dramatischer wird sie aber, wenn man das Bedrohungspotential richtig einschätzt.
Mal abgesehen von der ganzen Diskussion um die Ursachen des Terrorismus und welche Wege sich da auftun, ihm wesentlich sinnvoller zu begegnen, ist es schon erhellend, sich vor Augen zu führen, daß eine konkrete Bedrohung über das normale Lebensrisiko hinaus praktisch nicht besteht. Es ist viel wahrscheinlicher, dass ich morgen auf der Treppe ausrutsche und mir das Genick breche, als dass ich durch einen Terroanschalg sterbe.
Zumindest Schäuble sei eine andere Wahrnehmung verziehen, er ist immerhin Opfer eines Anschlages gewesen und sitzt jetzt im Rollstuhl. Aber im Grunde bedeutet das schlicht, das er in der heutigen Zeit für den Job des Innenministers nicht geeignet ist: Er ist quasi befangen.

Nun gut: all der Quatsch schafft irgendwelche Arbeit. Sie ist zwar nicht sinnvoller als Harken des Mittelstreifens der Autobahn oder andere ABM-Jobs, aber hat den Vorteil, dass es zunächst mal so aussieht, als würde sie irgendwelche Sicherheitsprobleme lösen. Und während in Wirklichkeit vielleicht 200 Menschen pro Jahr durch solchen Kram gerettet werden und gleichzeitig die Leute wie die Fliegen beim Putzen ihrer Wohnung abkratzen (1999 in Deutschland 5600 Menschen beim putzen, kochen, heimwerken tödlich verunfallt), wird den Leuten die in der Sicherheitsbranche tätig sind vorgegaukelt, sie täten einen für die Gesellschaft nützlichen, ja notwenigen Job.
Und diese ermutigende und selbstwertsteigernde Gewissheit ist doch auch Geld wert, oder?

So gesehen sollte ich in Zukunft unbedingt vermeiden zu lachen, wenn das Sicherheitspersonal am Flughafen mich mein Deo in Plastiksäckchen packen lässt.

(oben erwähnte Zahlen teilweise aus dem Artikel "Did you pack your bags yourself?" aus der aktuellen Ausgabe des British Medical Journal)

Ach ja: Frohe Weihnachten!